Als wir dieses Wochenende auf einem (von einem atemberaubend schnell durch den Wald fahrenen Traktor gezogenen) Anhänger kauerten, stimmte ein Teil jener Gruppe von Kindern, mit denen ich dort war, einem ein Fußball-Fan-Gesang gleichendes "Süddeutschland!" an. Sie trugen Fußballtrikots der deutschen Fußballnationalmannschaft.
Ich frage mich seit langer Zeit, warum ich mit Nationalstolz, Heimatliebe und Fußball so wenig anfangen kann. Ich wundere mich; einen Anlass hatte ich keinen: Aus gutem Hause stammend und auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen, wie mein gesamter Freundeskreis damals auf dem Land. Wir hatten den Gratismut, "Nazis raus" zu rufen, aber wir meinten es ernst.
Ich habe jedes Mal ein sehr unangenehmes Gefühl im Magen, wenn etwas solches geschieht. Daher gehe ich nicht in Fußballstadien, daher sitze ich mich schämend auf Anhängerladeflächen. Ich kann nicht verstehen, dass jemand vom Fußball behauptet, es ginge allein um den Sport, Fangesänge und Tribünenbesucher toleriert und gleichzeitig (und zurecht) jene Menschen verurteilt, die neben Nazis auf Impfgegnerdemonstrationen marschieren. Wie es für mich jedwede Demonstrationen mit Nazibeteiligung unmöglich macht, macht es für mich den Sport Fußball unmöglich.
Ich finde furchtbar, was Bayern auf sich hält, wie ich furchtbar fand, was Hessen auf sich hielt, als ich noch dort lebte. Ich finde schlimm, wenn jemand "Süddeutschland!" ruft.
Aiwanger hat Glück gehabt, dass vielen die Heimatliebe und das Bier lieber sind als alles andere.
Wo auf den Flugblättern stand, dass der Hauptgewinn sei, Juden in Auschwitz zu vergasen. Ich finde, ihr hättet um eurer Glaubwürdigkeit willen und eures moralischen Rosses wegen, Tag und Nacht vor der bayerischen Staatskanzlei Mahnwache stehen müssen, bis sie alle abtreten. Stattdessen sucht ihr in Bayern gerade die Öffnung in euren Köpfen, um euch das Bier reinzuschütten. Eben rasch »Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz« und »kostenloser Genickschuss«, dann werden die Wadeln in die Strümpf gestopft und es wird besinnungslos gesoffen. Das Leben geht weiter. So praktiziert ihr es seit Mai ’45.
Dieser Text hat mich sehr getroffen und resoniert in mir unangenehm stark. Vielleicht habe ich endlich einen Hinweis gefunden für mein Bauchgefühl.
Ich würde mich schämen, wenn ich später auf die Frage "Wo bist Du gewesen, als alles begann?" antworten müsste: "Im Fanblock."